6. Juni: Sehbehindertentag

Seit 1998 gibt es diesen vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. eingeführten nationalen Aktionstag.

Das für diesen Tag erdachte Motto „Ich sehe so, wie du nicht siehst“ kann in einem übertragenen Sinne auch auf den von uns für diesen Tag ausgesuchten Abguss angewandt werden: Das Porträt Homers.

Homer

Homer gilt als einer der größten Dichter des Abendlandes. Er verfasste die Ilias und die Odyssee und lebte im späten 8. oder frühen 7. Jh. v. Chr. Ob es ihn als Einzelperson wirklich gab, verliert sich allerdings im Dunkel der Geschichte.

Das hier gezeigte Porträt entstand über 500 Jahre nach dem Tode Homers. So stellte man sich den legendären Dichter im Hellenismus vor (ca. 330–30 v. Chr.). Die Darstellung mit den deutlichen Alterszügen verbindet ihn mit den Bildnissen anderer Dichter, Philosophen und Denker. Alter war ein Indiz für Weisheit.

Besonders sind aber seine Augen. Homer wird als blind dargestellt. Dies wird erkennbar an den weit über die kleinen Augen reichenden Lidern und die schlaffen Muskeln um die Augen herum. Der Blick wirkt auf diese Weise unfokussiert. Die Vorstellung der Nachwelt von Homers Blindheit gründet sich auf einen Topos: Die von den Göttern inspirierten Sänger, Dichter und Seher sind in den Sagen und Mythen häufig blind – sie blicken nach innen. So sehen sie Visionen oder die von ihnen erdachten Welten vor ihrem geistigen Auge klarer. Sie werden nicht durch die Eindrücke der äußeren Welt abgelenkt. Homer malte die Bilder in seinem Kopf für alle anderen durch seine Worte. Daher hätte er mit Fug und Recht behaupten können: „Ich sehe so, wie du nicht siehst“.


Weitere Informationen zum Abguss und zum Original unter: https://arachne.dainst.org/entity/1226356