In Situationen wie jetzt ist es für uns besonders wichtig, mit dem Rest der Welt verbunden zu bleiben – auf welchem Weg auch immer. Zurzeit arbeite ich – ehemalige studentische Hilfskraft in der Sammlung – an meiner Dissertation im Fach Klassische Archäologie. Die neu ‚gewonnene‘ Zeit zuhause kann ich natürlich für eine besonders konzentrierte Arbeit an meinem eigenen Projekt nutzen.
Doch brauche ich auch Abwechslung und Kontakt zur Außenwelt: Sei es aktiv durch einen Spaziergang draußen oder gedanklich. Ich nutze die vielen virtuellen Möglichkeiten; manchmal ist es aber auch einfach schön, an Menschen, Dinge und Orte denken, die mir etwas bedeuten. Und so bleibe ich in Verbindung mit der Abguss-Sammlung, in dem ich mir Gedanken über mein ‚Lieblingsstück‘ dort mache. Als ich meinen Blick vor ein paar Tagen gedanklich durch den Ausstellungsraum schweifen ließ, blitzte sofort die fragmentierte Statue eines Pferdes vor meinen Augen auf: Stolz trägt es den feinen Kopf erhoben, es scheint zu wiehern und in Bewegung zu sein. Außer dem Fundort auf dem Akropolishügel in Athen (Griechenland) weiß man nicht viel über dieses Stück. Aber trotzdem lässt es sich durch genaueres Hinschauen und einige Hintergrundinformationen für uns Archäologen gut deuten.
Durch Vergleiche mit anderen Pferdedarstellungen hat man herausgefunden, dass es um 500 v. Chr. erschaffen wurde. Dieses Datum liegt am Ende der sogenannten archaischen Epoche der griechischen Kunst (ca. 700-490/80 v. Chr.). In dieser Zeit wurden Pferde nie als Arbeitstiere eingesetzt. Sie fanden ihre Verwendung im Krieg und in sportlichen Wettkämpfen. Der Besitz von Pferden war aufgrund der hohen Kosten nur den wohlhabenden Familien möglich. Die edlen Tiere wurden damit zu einem Statussymbol der Oberschicht. Man weihte Statuen von ihnen an die Götter, beispielsweise an Athena, die Stadtgöttin Athens. Von ihr wissen wir, dass sie auch als Athena Hippias, als Zähmerin der Pferde, verehrt wurde. Es ist denkbar, dass auch unser Pferd an die Göttin geweiht war – und der Besitzer ihr damit dafür dankte, dass sie im Krieg oder im Wettkampf sein Pferd beschützte und ihn dadurch wohlerhalten nach Hause brachte oder zum Sieg verhalf.
Doch was fasziniert mich an diesem Objekt so sehr? Es entstand in einer Zeit, in der die griechischen Bildhauer anfingen, Skulpturen langsam aus den alten starren Formen zu lösen und ‚realistischer‘ wirken zu lassen. Das Pferd macht es vor: Trotz der teilweise unorganischen Formen wirkt es ganz lebendig und blickt seinen Betrachter beinahe herausfordernd an. Das lässt mich lächeln – und das ist doch das Schönste, mit dem man sein ‚Gedanken-schweifen-lassen‘ in diesen Tagen beenden kann, oder?
Zum Stück:
- Das Original aus Marmor befindet sich im Akropolis-Museum in Athen (Inv.-Nr. 697).
Weitere Informationen zu dem Abguss und dem Original unter: https://arachne.dainst.org/entity/1225279