Krupeziontretender Satyr / Janina Rücker

Als ehemalige studentische Hilfskraft der Abguss-Sammlung Antiker Plastik halte ich mich gern in den Räumen in Charlottenburg auf. Wenn ich mir in diesen Wochen also vorstelle, in der Abguss-Sammlung zu stehen, lasse ich nicht nur das allgemeine Gewusel der Stadt hinter mir, sondern vor allem den Nachrichten-Live-Ticker mit den brandaktuellsten Entwicklungen.

Janina Rücker

Ich befinde mich an einem ruhigen Ort des Wechselspiels weißer Skulpturen und roter Vorhänge. In vollkommener Stille schlendere ich entlang der Athleten der griechischen Antike, sehe eine Gruppe von Philosophen und erkenne den ein oder anderen römischen Kaiser an seinen Locken. Der rote Faden der Sammlung von der Frühzeit bis in die Spätantike, von den Griechen bis zu den Römern, wird lediglich in den Magazinen unterbrochen. Hinter den Kulissen der Sammlung, hinter den großen, schweren Vorhängen und hinter den Vitrinen, wird es besonders spannend. In den Tiefen des durch die großen Fenster hell-erleuchteten Magazins findet sich ein außergewöhnlicher Schatz. Dort stehen Abgüsse, die für Ausstellungsumbauten kurz- oder auch mittelfristig einen neuen Platz erhalten: verpackt, auf Paletten, auf großen und kleinen Sockeln, ein kleines Schild am Fuß mit der Inventarnummer. Hier, in der weißen Stille, steht eine sich scheinbar in Bewegung befindliche Skulptur: mit einem Arm von sich gestreckt, den Oberkörper nach unten gebeugt, den Blick auf den Boden fixiert und ein Lachen auf den Lippen: Es handelt sich um eine Statue mit kompliziertem Namen: den Krupeziontretenden Satyr.

Krupeziontretender Satyr

Das Original wurde am Ende des 18. Jahrhunderts vermutlich auf dem Viminal in Rom gefunden und kurz darauf von der russischen Zarin Katharina II. erworben. Es handelt sich dabei um eine römische Statue nach einem griechischen Vorbild vermutlich aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Heute ist diese Skulptur verschollen, allerdings befinden sich Abgüsse in der Abguss-Sammlung Berlin sowie in Göttingen, Bonn und Gotha.

Der Satyr ist ein mythologisches männliches Mischwesen mit leicht tierischen Zügen, wie den spitzen Ohren. Gemeinsam mit Nymphen und Mänaden gehört er zum Gefolge des Gottes Dionysos. In dieser Skulptur tritt der Satyr mit seinem rechten Fuß eine Art Fußklapperinstrument, das Krupezion. In den Händen hielt er entweder Zimbeln oder er schnippte mit den Fingern; ein für die Satyrn charakteristischer Gestus. Die Arme schwingen dabei weit in den Raum. Die Musik, die das Instrument erzeugt, setzt seinen ganzen Körper in Bewegung.

In der Antike könnte die Statue als Einzelfigur innerhalb einer Skulpturenausstattung einer römischen Villa oder eines öffentlichen Bades gestanden haben. Denkbar wäre eine Aufstellung mit einer Nymphe oder Mänade in einer zweifigurigen Gruppe, wie es eine römische Münze des Kaisers Septimius Severus (193-211 n. Chr.) zeigt. Der Satyr versucht in dieser Gruppierung mit seinem bewegten Musizieren die Nymphe zum gemeinsamen Tanz aufzufordern, die sich wiederum zum Tanzen die Sandale anlegt.

Zwischen all dem Trubel der jetzigen Wochen, inmitten vieler Fragezeichen, denke ich gern an diese Statue – die Verkörperung des Lebensgenusses. Der Abguss des Satyr im Magazin erinnert mich daran, dass auch im scheinbar größten Chaos die Lebensfreude nicht fehlen darf. Eine sorgenfreie Welt, die der Lebensstil des dionysischen Kultes widerspiegelt, ist vielleicht nur eine besondere Fantasie; aber womöglich animiert sie uns in der nächsten Zeit auch in unserer Wohnung das eine oder andere Mal den Kopf zu neigen, zu tanzen und einfach kurz der Realität zu entweichen.

Zum Stück:

  • Statue des Krupeziontretenden Satyr (Abguss Berlin Inv.-Nr.: 90/51)
  • Das Original ist heute verschollen und nur in Abgüssen erhalten. Es handelte sich um eine römische Kopie nach einem griechischen Vorbild des 2. Jahrhunderts v. Chr.

Mehr Informationen zum Abguss und zum Original unter:
http://arachne.uni-koeln.de/item/reproduktion/3304906